Mittwoch, 21. März 2012

es wird gefeilscht wie auf dem jahrmarkt - modeblogalltag in schweden.

eigentlich ist ja jessie weiss von - damals noch - lesmads schuld. sie ludt im november 2010 jonas scheler,  der am centre for fashion studies der universität stockholm studiert, zu einem gastbeitrag zum thema modebloggen 2.0 ein. ich habe jonas, der die schwedische modeblogspäre sehr gut kennt,  nun einige fragen zum modebloggen in schweden gestellt. die hat der gebürtige bonner schön ausführlich beantwortet - denn wo, wenn nicht auf einem nichtkommerziellen blog wie diesem, ist platz en masse für das vermeintlich abseitige? 

der anzahl schwedischer fashion blogs zufolge muss schweden ein modeverrücktes land sein. warum fühlen sich dort so viele junge menschen zum bloggen über mode berufen?

Das ist eine gute Frage und eine überprüfbare Antwort dazu kann ich nicht geben. Wahrscheinlich folgt die Spezialisierung des Bloggens über Mode den gleichen Mechanismen wie andere Trends im Internet. Viele BloggerInnen haben anfangs vornehmlich über Alltagsgeschehnisse berichtet und erst später – möglicherweise infolge eines medialen oder gesellschaftlichen Verlangens nach Kategorisierung – den Oberterminus "Modeblogger" erhalten. Der Autor und Web-Berater Jonas Söderström – der momentan an einem Buch über die Geschichte des Bloggens in Schweden schreibt – stellte kürzlich erst fest, dass oftmals Unzufriedenheit die Ursache für die Entstehung der ersten Blogs in Schweden war: LeserInnen fanden nicht die Inhalte, nach denen sie suchten oder jene Inhalte waren oftmals nicht in der Art und Weise aufbereitet, die man sich wünschte. 

Generell muss man aber auch darauf hinweisen, dass man in Schweden überhaupt sehr internetaffin ist – und das sogar beinahe generationenübergreifend. Schon Ende der 90er war Schweden bei der Anzahl der Internetnutzer weit vorne dabei – auch dank entsprechenden Regierungsmaßnahmen. Leicht zugängliche Werkzeuge wie Blogspot.com ließen die Blogosphäre – in einem Land, das nur knapp 1/9 der Bevölkerung Deutschlands zählt, aber in der Fläche um 1/4 größer ist – schnell wachsen. Schweden ist bei technischen Entwicklungen gerne schnell vorne dabei. Vorbehalte gegenüber technischen Innovationen oder die deutsche Bedenklichkeit in puncto Datenschutz sind den Schweden eher fremd. Nicht grundlos kommen Softwareprodukte wie Spotify oder Skype aus Schweden – und ähnlich führend ist man auch in Fragen des bargeldlosen Bezahlen. Nicht zuletzt ist Mode, wie ich damals auf Lesmads.de schon erwähnte, ein so leicht nur auf geschmacklich-ästhetische Präferenzen zu reduzierendes Thema, zu dem jeder seine Meinung kundtun kann und darf. Über Mode lässt es sich leichter reden als über Politisches. Das lockt alle, die sich sonst nicht so leicht zu einer veröffentlichten Meinung bereit finden, es sei denn anonym. Mode ist der größte gemeinsame Nenner für diejenigen, insbesondere junge Erwachsene und Jugendliche, die sich stark über das äußere Erscheinungsbild definieren und differenzieren wollen.

in schweden gibt es fernsehsender, die modebloggerinnen beschäftigen, oder modecommunities, die aus dem modebloggen eine lukrative angelegenheit machen. wie würdest du die schwedische modeblogsphäre – auch in abgrenzung zur deutschsprachigen - charakterisieren?

Die schwedische Modeblogosphäre ist vielleicht noch stärker professionalisiert als in Deutschland. ModebloggerInnen nehmen einen größeren Teil des populärkulturellen Gesellschaftsdiskurses ein. Man hat das Potenzial des Bloggens in Schweden vielleicht früher als ein Geschäftsmodell erkannt und daher forciert weiterentwickelt. Die Journalistin Ebba von Sydow – damals Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Veckorevyn und später des zugehörigen Onlineportals sowie heute Moderatorin beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender SVT  – war eine der Pioniere auf dem Gebiet des Bloggens. Sie hat als Initiatorin der "Blog Awards" durchaus maßgebend zum Erfolg beigetragen. Zeitgleich kamen dann noch die Preisverleihung "Stora Bloggpriset" (der große Bloggerpreis) hinzu, es legitimierte zusätzlich den stetig wachsenden Einfluss der BloggerInnen und trug zu einem gesteigerten Medieninteresse bei.
Schnell sind dann Investoren auf den Zug aufgestiegen und professionelle Blogportale wie Rodeo.net, Modette.se, Radarzine.com oder Freshnet.se und Nowmanifest.com  – letztere unter dem Dach von Elin Klings und Christian Remröds Fashion Networks – konnten entstehen. 
Allerdings gibt es neben den Modeblogs auch eine Reihe anderer erfolgreicher BloggerInnen, in den Bereichen Humor, Food und Eltern-Dasein sowie, nicht zuletzt, jene Blogs von Patienten über ihre Krankheiten, die in kürzester Zeit große Leserschaften gewinnen. In einem Land, das sehr dünn besiedelt ist, ist Bloggen eine Art Volkssport, um sich auszutauschen und auch neue Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen. Das schafft vielleicht ein Gefühl von familiärer Zugehörigkeit, nicht nur innerhalb des eigenen Landes, sondern speziell auch Identifikation mit den Trends und dem Zeitgeist in den anderen europäischen Ländern sowie in den USA und Asien.

die bloggerin elin kling versteht ihr blog als geschäftsmodell. ist das gros schwedischer modeblogs kommerziell ausgerichtet oder gibt es auch alternative ansätze?

Ja, tendenziell ist das Gros der unterdessen erfolgreichen Blogs kommerziell ausgerichtet. Die Tatsache, dass die lesestärksten Blogger im Jahre 2010 – aufgrund der Annahme von Werbegeschenken und Gratisreisen –  einer besonderen Untersuchung durch das schwedische Finanzamt unterzogen worden sind, zeigt die Kommerzialisierung des Bloggens in Schweden. Die zahlreichen Kollaborationen der Blogger mit Modemarken (Elin Kling und H&M, Sofi Fahrmann und JC, Ebba von Sydow und MQ) sind ein weiteres Anzeichen dafür. Sobald man als Blogger mehr und mehr Leser gewinnt, wird man schnell abgeworben und "gekauft". Da gibt es beinahe einen Transfermarkt, ähnlich wie bei Fußballspielern – und es wird gefeilscht wie auf dem Jahrmarkt. Bekommst Du als erfolgreicher Blogger ein Angebot, das Bloggportal zu wechseln, dann wirst Du mit Deinem aktuellen Bloggportal Deinen aktuellen Lohn selbstverständlich nachverhandeln oder gegebenenfalls zur besser bezahlenden Plattform wechseln. Da sind dann durchaus 35.000 SEK (ca. 3 900 €) Lohn monatlich möglich. In Norwegen tendieren die Löhne der Blogger im Durchschnitt noch einmal deutlich höher, wenngleich offizielle Statistiken dazu natürlich fehlen. Solange es nicht kommerziell betrieben wird, so ist es für viele oft eine Plattform zur Selbstvermarktung; ein Sprungbrett, um bekannter zu werden und sich später irgendwelche Einkünfte – als Freelance Stylist, Testimonial im kleineren Rahmen, DJ, Redakteur o.ä. – zu sichern. Da unterscheidet sich Schweden nicht von Deutschland, wo die Lesmads-Gründerinnen Jessica Weiß und Julia Knolle auch ihre eigenen Karrierewege erfolgreich weitergegangen sind. Der Corporate Blog Entreprenörsbloggen (Deutsch: "Unternehmerblog") der SEB, in Zusammenarbeit mit Freshnet.se, zeigt unmissverständlich, wie die schwedische Modeblogosphäre mit dem Gedanken an eine Karriereplanung in einer Symbiose lebt: hier wird der Blog als Startwerkzeug für den Karrierebeginn beworben.

vor einiger zeit hast du in einem gastbeitrag auf dem blog lesmads festgestellt, es gebe in schweden "qualitätsbloggerInnen", die sich bereits im onlinebereich von tageszeitungen etabliert haben. existieren diese blogs nach dem einstieg der bloggerInnen in den journalismus noch?

Ja, teilweise existieren diese noch, z.B. Agnes Braunerhielm oder Modearkivet. Dennoch sind jene Blogger – trotz einer ähnlich wie in der deutschen Modeblogosphäre geführten Debatte in 2011 über die Gefahr des Unabhängigkeitsverlustes bei Blogger|Innen und Moderedakteuren- und journalisten – weiterhin eine Minderheit. Lars Holmberg lässt das Bloggen momentan pausieren. Ebenso Daniel Björk. Neuzugänge sind – nach meinem Kenntnisstand – bisher jedoch ausgeblieben, wenngleich Portale wie Rodeo.net und Bon.se den Anspruch haben, journalistisch höherwertige Inhalte zu liefern. Kommerzielle Blogs – zumeist an eine junge Leserschaft gerichtet – machen jedoch den Großteil aus: dafür gibt es schließlich die größte Leserschaft.  

wenn schwedische bloggerInnen, die in der regel aussehen wie models, in ihren styleblogs das abbilden, was gerade en vogue ist, dann doch auch, dass denen, die nicht kommerziell verwertbaren stereotypen entsprechen, der erfolg im modeblogbusiness vorenthalten bleibt. erhöhen modeblogs den druck auf junge mädchen und auch jungs - wie siehst Du das?

Ja, selbstverständlich trifft das in vielen Fällen zu, zumal der Druck in puncto Aussehen zum Beispiel in Stockholm bereits sehr hoch ist. Die bekannten Blogger|Innen legitimieren Trends, Produkte, Körperideale – ihre Lebensstile im Allgemeinen. Sie dienen als Projektionsfläche und als Vorbilder für viele Jugendliche. In der Tat haben einige der BloggerInnen professionell als Models gearbeitet – wenngleich nicht zwangsläufig im Highfashion-Bereich wie z.B. die norwegische Hanneli Mustaparta – oder sie sind weiterhin als Models tätig. Zu dieser Gruppe gehören z.B. Ida Rislöw, Lina Söderström oder Carolina Sundström. Agnès Rocamora – Wissenschaftlerin am London College of Fashion – hat kürzlich in Fashion Theory argumentiert, dass Blogger auch Mode- und Genusideale jenseits des Mainstreams propagieren können. Trotzdem sind diese Nonkonformisten in Schweden, meiner Meinung nach, nicht tonangebend, sie haben tendenziell weniger Einfluss, weniger Vorbildcharakter. Hanna Fridén ist eine Ausnahme, sie provoziert regelmäßig mit eher textlastigen Beiträgen und weicht vom stereotypen Schönheitsideal ab; aber ob man sie als Modebloggerin einordnen kann, liegt je nach Einstellung im Auge der Leserinnen und Leser. Der insgesamt nicht unerheblich große gesellschaftliche Einfluss der BloggerInnen hat in Schweden wiederkehrend für Debatten gesorgt. Die von den BloggerInnen propagierten Lebensentwürfe – u.a. von Isabella "Blondinbella" Löwengrip – sind oft kritisiert worden: Blogger seien gesellschaftsunkritisch, sie würde die Teenager-Leserschaft unkritisch zu Konsumhatz antreiben, den Egozentrismus und nichts anderes als Unternehmertum bejahen. Autorinnen, weitere Blogger und eine Theologin schalteten sich in die Debatte mit ein und es wurde heftig im Netz und im Fernsehen gestritten. Auch als die Tochter der Besitzerin einer Stockholmer Luxusmodeboutique im Alter von 12 Jahren das Bloggen à la Tavi Gevinson begann – nachdem sie ein halbes Jahr vorher ihren ersten TV-Auftritt im schwedischen Privatfernsehen gehabt hatte und dort medienwirksam von ihrer ersten Balenciaga-Tasche im Alter von zehn Jahren geplaudert hatte – gab es einen gesellschaftlichen Aufschrei und man musste sich die Frage stellen, was das nun über den heutigen Zeitgeist aussagt. Die Gefahr solcher Blogs besteht sicher in der Ausgrenzung von weniger wohlhabenden Schichten, die sich dem Konsumdruck, den solche Blogs erzeugen, nicht entziehen können.

7 Kommentare:

LYNN and HORST hat gesagt…

erkläre mir mal kurz, wann du kursiv, fett und links einsetzt. manchmal verwirrt es mich...

blica hat gesagt…

da sprichst du was an - das ist so ne sache.
fett: zur visuellen auflockerung, aussagekräftige elemente.
links: wurden von jonas gesetzt (zu viele, um sie alle "aufzufetten")

manchmal überschneidet sich das. ich gebe zu, ich hab da bisher keine zufriedenstellende lösung gefunden...

spiegeleule hat gesagt…

danke dafür.

(ich schleiche mit der maus auch immer über den text um links zu finden...)

maja hat gesagt…

Ein fundierter Einblick in die schwedische Bloggerszene. Danke. Insbesondere im Hinblick auf die gesellschaftliche Dimension absolut interessant, wenn auch nicht auf Deutschland übertragbar.

blica hat gesagt…

@spiegeleule und maja, ganz eurer meinung, hab auch einiges neues erfahren...

Lea hat gesagt…

Hm ist schweden von der Blogszene eigentlich der deutschen voraus? Also ich habe immer das Gefühl, weil sie sowieso internetaffiner sind und einfach um einiges stylischer als wir :(
Und wenn ich mir dann neue deutsche Seiten wie Dit is Fashion mit dem Namen anschaue, weiß ich auch warum :)

Hannah hat gesagt…

ein wirklich tolles interview und ein gelungener einblick in die schwedische blogosphäre - vielen dank!

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