eigentlich ist ja jessie weiss von - damals noch - lesmads schuld. sie ludt im november 2010 jonas scheler, der am centre for fashion studies der universität stockholm studiert, zu einem gastbeitrag zum thema modebloggen 2.0 ein. ich habe jonas, der die schwedische modeblogspäre sehr gut kennt, nun einige fragen zum modebloggen in schweden gestellt. die hat der gebürtige bonner schön ausführlich beantwortet - denn wo, wenn nicht auf einem nichtkommerziellen blog wie diesem, ist platz en masse für das vermeintlich abseitige?
der anzahl schwedischer fashion blogs zufolge muss schweden ein modeverrücktes land sein. warum fühlen
sich dort so viele junge menschen zum bloggen über mode berufen?
Das ist eine gute Frage und
eine überprüfbare Antwort dazu kann ich nicht geben. Wahrscheinlich folgt die
Spezialisierung des Bloggens über Mode den gleichen Mechanismen wie andere
Trends im Internet. Viele BloggerInnen haben anfangs vornehmlich über
Alltagsgeschehnisse berichtet und erst später – möglicherweise
infolge eines medialen oder gesellschaftlichen Verlangens nach
Kategorisierung – den Oberterminus "Modeblogger" erhalten. Der Autor und Web-Berater Jonas Söderström – der momentan an einem Buch über die Geschichte des
Bloggens in Schweden schreibt – stellte kürzlich erst fest, dass oftmals
Unzufriedenheit die Ursache für die Entstehung der ersten Blogs in Schweden
war: LeserInnen fanden nicht die Inhalte, nach denen sie suchten oder jene
Inhalte waren oftmals nicht in der Art und Weise aufbereitet, die man sich
wünschte.
Generell muss man aber auch
darauf hinweisen, dass man in Schweden überhaupt sehr internetaffin ist – und das
sogar beinahe generationenübergreifend. Schon Ende der 90er war Schweden bei
der Anzahl der Internetnutzer weit vorne dabei – auch dank
entsprechenden Regierungsmaßnahmen. Leicht zugängliche Werkzeuge wie
Blogspot.com ließen die Blogosphäre – in einem Land, das nur knapp
1/9 der Bevölkerung Deutschlands zählt, aber in der Fläche um 1/4 größer
ist – schnell wachsen. Schweden ist bei technischen Entwicklungen gerne
schnell vorne dabei. Vorbehalte gegenüber technischen Innovationen oder die
deutsche Bedenklichkeit in puncto Datenschutz sind den Schweden eher fremd.
Nicht grundlos kommen Softwareprodukte wie Spotify oder Skype aus Schweden – und ähnlich führend ist man auch in Fragen des
bargeldlosen Bezahlen. Nicht zuletzt ist Mode, wie
ich damals auf Lesmads.de schon erwähnte, ein so leicht nur auf
geschmacklich-ästhetische Präferenzen zu reduzierendes Thema, zu dem jeder
seine Meinung kundtun kann und darf. Über Mode lässt es sich leichter reden als
über Politisches. Das lockt alle, die sich sonst nicht so leicht zu einer
veröffentlichten Meinung bereit finden, es sei denn anonym. Mode ist der größte
gemeinsame Nenner für diejenigen, insbesondere junge Erwachsene und Jugendliche,
die sich stark über das äußere Erscheinungsbild definieren und differenzieren
wollen.
in schweden gibt es fernsehsender, die modebloggerinnen beschäftigen, oder modecommunities, die aus
dem modebloggen eine lukrative angelegenheit machen. wie würdest du die
schwedische modeblogsphäre – auch in abgrenzung zur deutschsprachigen -
charakterisieren?
Die schwedische
Modeblogosphäre ist vielleicht noch stärker professionalisiert als in
Deutschland. ModebloggerInnen nehmen einen größeren Teil des populärkulturellen
Gesellschaftsdiskurses ein. Man hat das Potenzial des Bloggens in Schweden
vielleicht früher als ein Geschäftsmodell erkannt und daher forciert
weiterentwickelt. Die Journalistin Ebba von Sydow – damals Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Veckorevyn und später des zugehörigen
Onlineportals sowie heute Moderatorin beim öffentlich-rechtlichen Fernsehsender
SVT – war eine der Pioniere auf
dem Gebiet des Bloggens. Sie hat als Initiatorin der "Blog Awards"
durchaus maßgebend zum Erfolg beigetragen. Zeitgleich kamen dann noch die
Preisverleihung "Stora Bloggpriset" (der große Bloggerpreis) hinzu,
es legitimierte zusätzlich den stetig wachsenden Einfluss der BloggerInnen und
trug zu einem gesteigerten Medieninteresse bei.
Schnell sind dann
Investoren auf den Zug aufgestiegen und professionelle Blogportale wie Rodeo.net, Modette.se, Radarzine.com oder Freshnet.se und Nowmanifest.com – letztere unter dem Dach von Elin Klings und Christian Remröds Fashion Networks – konnten entstehen.
Allerdings gibt es neben
den Modeblogs auch eine Reihe anderer erfolgreicher BloggerInnen, in den
Bereichen Humor, Food und Eltern-Dasein
sowie, nicht zuletzt, jene Blogs von Patienten über ihre
Krankheiten,
die in kürzester Zeit große Leserschaften gewinnen. In einem Land, das sehr dünn besiedelt ist, ist Bloggen eine Art
Volkssport, um sich auszutauschen und auch neue Kontakte mit Gleichgesinnten zu
knüpfen. Das schafft vielleicht ein Gefühl von familiärer Zugehörigkeit, nicht
nur innerhalb des eigenen Landes, sondern speziell auch Identifikation mit den
Trends und dem Zeitgeist in den anderen europäischen Ländern sowie in den USA
und Asien.
die bloggerin elin kling
versteht ihr blog als geschäftsmodell. ist das gros schwedischer modeblogs
kommerziell ausgerichtet oder gibt es auch alternative ansätze?
Ja, tendenziell ist das
Gros der unterdessen erfolgreichen Blogs kommerziell ausgerichtet. Die
Tatsache, dass die lesestärksten Blogger im Jahre 2010 – aufgrund der
Annahme von Werbegeschenken und Gratisreisen – einer besonderen
Untersuchung durch das schwedische Finanzamt unterzogen worden sind, zeigt die Kommerzialisierung
des Bloggens in Schweden. Die zahlreichen Kollaborationen der Blogger
mit Modemarken
(Elin Kling und H&M, Sofi Fahrmann und JC,
Ebba von Sydow und MQ)
sind ein weiteres Anzeichen dafür. Sobald man als Blogger mehr
und mehr Leser gewinnt, wird man schnell abgeworben und "gekauft". Da
gibt es beinahe einen Transfermarkt, ähnlich wie bei
Fußballspielern – und es wird gefeilscht wie auf dem Jahrmarkt.
Bekommst Du als erfolgreicher Blogger ein Angebot, das Bloggportal zu
wechseln, dann wirst Du mit Deinem aktuellen Bloggportal Deinen aktuellen
Lohn selbstverständlich nachverhandeln oder gegebenenfalls zur besser
bezahlenden Plattform wechseln. Da sind dann durchaus
35.000 SEK (ca. 3 900 €) Lohn monatlich möglich. In Norwegen tendieren die
Löhne der Blogger im Durchschnitt noch einmal deutlich höher, wenngleich
offizielle Statistiken dazu natürlich fehlen. Solange es nicht
kommerziell betrieben wird, so ist es für viele oft eine Plattform zur
Selbstvermarktung; ein Sprungbrett, um bekannter zu werden und sich später
irgendwelche Einkünfte – als Freelance Stylist, Testimonial im kleineren
Rahmen, DJ, Redakteur o.ä. – zu sichern. Da unterscheidet sich
Schweden nicht von Deutschland, wo die Lesmads-Gründerinnen Jessica Weiß und
Julia Knolle auch ihre eigenen Karrierewege erfolgreich weitergegangen sind. Der Corporate Blog Entreprenörsbloggen (Deutsch: "Unternehmerblog") der SEB, in Zusammenarbeit mit
Freshnet.se, zeigt unmissverständlich, wie die schwedische Modeblogosphäre mit
dem Gedanken an eine Karriereplanung in einer Symbiose lebt: hier wird der Blog als Startwerkzeug für
den Karrierebeginn beworben.
vor einiger zeit hast du in
einem gastbeitrag auf dem blog lesmads festgestellt, es gebe in schweden
"qualitätsbloggerInnen", die sich bereits im onlinebereich von tageszeitungen etabliert haben. existieren diese blogs nach dem einstieg der bloggerInnen in den journalismus noch?
Ja, teilweise existieren
diese noch, z.B. Agnes Braunerhielm oder Modearkivet. Dennoch sind jene Blogger – trotz einer ähnlich wie in der deutschen
Modeblogosphäre geführten Debatte in 2011 über die Gefahr
des Unabhängigkeitsverlustes bei Blogger|Innen und Moderedakteuren- und
journalisten – weiterhin eine Minderheit. Lars Holmberg lässt das Bloggen momentan pausieren. Ebenso Daniel Björk. Neuzugänge sind – nach meinem Kenntnisstand
– bisher jedoch ausgeblieben, wenngleich Portale wie Rodeo.net und Bon.se
den Anspruch haben, journalistisch höherwertige Inhalte zu liefern.
Kommerzielle Blogs – zumeist an eine junge Leserschaft
gerichtet – machen jedoch den Großteil aus: dafür gibt es schließlich
die größte Leserschaft.
wenn schwedische bloggerInnen, die in der regel aussehen wie models, in ihren styleblogs das
abbilden, was gerade en vogue ist, dann doch auch, dass denen, die nicht
kommerziell verwertbaren stereotypen entsprechen, der erfolg im modeblogbusiness vorenthalten bleibt. erhöhen modeblogs den druck
auf junge mädchen und auch jungs - wie siehst Du das?
Ja, selbstverständlich
trifft das in vielen Fällen zu, zumal der Druck in puncto Aussehen zum Beispiel
in Stockholm bereits sehr hoch ist. Die bekannten Blogger|Innen legitimieren
Trends, Produkte, Körperideale – ihre Lebensstile im Allgemeinen. Sie
dienen als Projektionsfläche und als Vorbilder für viele Jugendliche. In der Tat haben einige der
BloggerInnen professionell als Models gearbeitet – wenngleich nicht
zwangsläufig im Highfashion-Bereich wie z.B. die norwegische Hanneli Mustaparta – oder sie sind weiterhin als Models tätig. Zu dieser
Gruppe gehören z.B. Ida Rislöw, Lina Söderström oder Carolina Sundström. Agnès Rocamora –
Wissenschaftlerin am London College of Fashion – hat kürzlich in Fashion Theory argumentiert, dass Blogger auch Mode-
und Genusideale jenseits des Mainstreams propagieren können. Trotzdem sind diese
Nonkonformisten in Schweden, meiner Meinung nach, nicht tonangebend, sie haben
tendenziell weniger Einfluss, weniger Vorbildcharakter. Hanna Fridén ist eine Ausnahme, sie
provoziert regelmäßig mit eher textlastigen Beiträgen und weicht vom
stereotypen Schönheitsideal ab; aber ob man sie als Modebloggerin einordnen kann, liegt je nach Einstellung im Auge der
Leserinnen und Leser. Der insgesamt nicht unerheblich große gesellschaftliche
Einfluss der BloggerInnen hat in Schweden wiederkehrend für Debatten gesorgt.
Die von den BloggerInnen propagierten Lebensentwürfe – u.a. von Isabella "Blondinbella" Löwengrip – sind oft kritisiert worden: Blogger seien
gesellschaftsunkritisch, sie würde die Teenager-Leserschaft unkritisch zu
Konsumhatz antreiben, den Egozentrismus und nichts anderes als Unternehmertum
bejahen. Autorinnen, weitere Blogger und eine Theologin schalteten sich in die
Debatte mit ein und es wurde heftig im Netz und im Fernsehen gestritten. Auch als die Tochter der Besitzerin einer Stockholmer Luxusmodeboutique im Alter von 12 Jahren das
Bloggen à la Tavi Gevinson begann – nachdem sie ein halbes Jahr
vorher ihren ersten TV-Auftritt im schwedischen
Privatfernsehen gehabt hatte und dort medienwirksam von ihrer ersten
Balenciaga-Tasche im Alter von zehn Jahren geplaudert hatte – gab es
einen gesellschaftlichen Aufschrei und man musste sich
die Frage stellen, was das nun über den heutigen Zeitgeist aussagt.
Die Gefahr solcher Blogs besteht sicher in der Ausgrenzung von weniger
wohlhabenden Schichten, die sich dem Konsumdruck, den solche Blogs erzeugen,
nicht entziehen können.
7 Kommentare:
erkläre mir mal kurz, wann du kursiv, fett und links einsetzt. manchmal verwirrt es mich...
da sprichst du was an - das ist so ne sache.
fett: zur visuellen auflockerung, aussagekräftige elemente.
links: wurden von jonas gesetzt (zu viele, um sie alle "aufzufetten")
manchmal überschneidet sich das. ich gebe zu, ich hab da bisher keine zufriedenstellende lösung gefunden...
danke dafür.
(ich schleiche mit der maus auch immer über den text um links zu finden...)
Ein fundierter Einblick in die schwedische Bloggerszene. Danke. Insbesondere im Hinblick auf die gesellschaftliche Dimension absolut interessant, wenn auch nicht auf Deutschland übertragbar.
@spiegeleule und maja, ganz eurer meinung, hab auch einiges neues erfahren...
Hm ist schweden von der Blogszene eigentlich der deutschen voraus? Also ich habe immer das Gefühl, weil sie sowieso internetaffiner sind und einfach um einiges stylischer als wir :(
Und wenn ich mir dann neue deutsche Seiten wie Dit is Fashion mit dem Namen anschaue, weiß ich auch warum :)
ein wirklich tolles interview und ein gelungener einblick in die schwedische blogosphäre - vielen dank!
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